1. Regulatory Sandboxes
Die erste Regulatory Sandbox, auch "Reallabor" genannt, wurde bereits 2016 in Großbritannien entwickelt. Es handelte sich um ein Instrument der Financial Conduct Authority (FCA) mit dem Ziel den Dialog zwischen innovativen Unternehmen und Aufsichtsbehörden zu eröffnen.
Im FinTech-Bereich herrschen nämlich besonders strenge aufsichtsrechtliche Vorgaben, wobei den betroffenen Unternehmen oftmals nicht klar ist, welche Vorschriften auf ihr Geschäftsmodell anwendbar sind. Um das Innovationspotenzial solcher Unternehmen nicht durch starre Abstrafung seitens der Behörden zu ersticken, sahen sich immer mehr Länder dazu veranlasst Regulatory Sandboxes in ihrem Verwaltungsapparat einzurichten. Dadurch können innovative Geschäftsmodelle in Abstimmung mit den Behörden unter Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften erprobt werden. Auch österreichische FinTechs können seit 2020 die Aufnahme in eine Regulatory Sandbox der FMA beantragen.
Nun handelt es sich bei Regulatory Sandboxes um Verwaltungsinstrumente, welche immer mehr Anwendung in immer mehr Rechtsgebieten finden, bspw. im Energierecht und auch bei der Regulierung künstlicher Intelligenz. Im Zentrum steht dabei immer die Förderung von innovativen Produkten, Dienstleistungen oder Unternehmen unter Einbindung der zuständigen Aufsichtsbehörden. Mittels Regulatory Sandboxes sollen alle Beteiligten (bspw. die Unternehmen und die Aufsichtsbehörden) über die Chancen und Risiken der neuen Geschäftsmodelle lernen. Die Geschäftsmodelle können zu diesem Zweck für eine bestimmte Zeit und in einem sicheren Rahmen unter realen Bedingungen getestet werden. Die Erkenntnisse aus den Sandboxes werden schließlich herangezogen, um innovationsoffene Rechtsrahmen zu schaffen ohne dabei Verbraucher – oder Umweltschutzstandards zu vernachlässigen.
2. Europäischer Ansatz
Seit der Einführung von Bitcoin nahm das Interesse an der zugrundeliegenden Technologie, der Distributed Ledger Technologie (DLT), stetig zu. DLT verspricht nicht nur die Finanzindustrie zu verändern, sondern auch neue und bahnbrechende Anwendungen für den FinTech-Sektor zu bringen.
Dementsprechend hat der EU-Gesetzgeber gehandelt, um sich als attraktiver Wirtschaftsstandort für neue Entwicklungen im Technologie-Bereich zu positionieren. Um die DLT-Innovation am europäischen Finanzmarkt zu erproben, wurde Mitte 2022 die DLT Pilot Regime Verordnung als Teil des Digital Finance Packages der EU-Kommission veröffentlicht, welche mit 23. März 2023 anwendbar ist. Durch die Pilot Regime Verordnung sollen auf DLT angepasste Marktinfrastrukturen getestet und somit der Handel mit auf DLT basierenden Finanzinstrumenten ermöglicht werden.
Blockchains bzw. DLT sind aufgrund ihrer Dezentralität und den damit einhergehenden Vorteilen nicht nur für Finanzdienstleistungen nutzbar. Zur Förderung der DLT-Infrastrukturen und Schaffung von Standortvorteilen in Europa haben die Europäischen Kommission und die Mitgliedstaaten bereits 2018 eine Basis für neue Anwendungsmöglichkeiten von DLT und Blockchain auf europäischer Ebene geschaffen. Dazu wurde im April 2018 die Europäische Blockchain Partnerschaft (mit mittlerweile 29 Mitgliedern) als Gemeinschaftsprojekt zur Nutzung der Vorteile von DLT gegründet. Diese Initiative der Kommission ist Teil des Förderungsprogrammes "The Digital Europe Programme", welches darauf ausgerichtet ist, digitale Technologien an die breite Öffentlichkeit, Unternehmen und auch an die öffentliche Verwaltung zu bringen.
Um die praktische Nutzung von DLT auf europäischer Ebene zu ermöglichen, wurde von der Kommission und der EBP die Europäische Blockchain Service Infrastruktur (EBSI) aufgebaut. Betrieben wird die EBSI über ein Peer-to-Peer Netzwerk an Knoten (Nodes) verteilt in ganz Europa, um Anwendungen über die Ländergrenzen hinaus möglich zu machen. Das Ziel dieser Unternehmung ist die Ermöglichung grenzüberschreitender Dienstleistungen durch den Einsatz einer Blockchain-basierten Service Infrastruktur. Dadurch sollen Informationen verifiziert und Dienstleistungen vertrauenswürdig gemacht werden.
Als Beispiele der zu unterstützenden Anwendungsmöglichkeiten auf der europaweiten Blockchain werden angeführt:
- "Track & Trace",
- "überprüfbare Berechtigungsnachweise",
- "vertrauenswürdiger Datenaustausch",
- und IP-Management.
Auf der EBSI wurden bisher nur Anwendungen von öffentlichen Einrichtungen erprobt. Die Nutzung der EBSI stand somit nur öffentlichen Organisationen offen. Zu den ersten Anwendungsfällen auf der EBSI zählen:
- Beglaubigungen: vertrauenswürdige digitale Audit-Trails, Automatisierung Compliance-Prüfungen in zeitkritischen Prozessen, Nachweis von Datenintegrität;
- Diplome: Ermöglichung der Kontrolle von Bildungsnachweise in der Verwaltung durch die Bürger selbst, Minimierung der Verifizierungskosten und Steigerung des Vertrauens in die Authentizität;
- digitale Identität in Europa: Einführung einer allgemeinen digitalen Identitätsfunktion ohne zentralisierte Behörden;
- vertrauenswürdige Datenfreigabe: sicherer Datenaustausch zwischen den Behörden in der EU.
3. Die Europäische Blockchain Sandbox
Mit 14. Februar 2023 hat die Kommission den Start der Europäischen Blockchain-Sandbox bekannt gegeben. Durch die Aufnahme von Projekten privater Organisationen (einschließlich Start-Ups und Scale-Ups) werden Synergie-Effekte erwartet. Es besteht nämlich die Möglichkeit zur Kostenreduktion durch Effizienzsteigerung bei Interaktionen zwischen öffentlichen und privaten Sektoren.
3.1 Aufnahme in die Blockchain-Sandbox
Die Blockchain-Sandbox wird zunächst 3 Jahre, somit bis 2026, betrieben und jährlich 20 Anwendungsfälle ("use cases") von privaten und öffentlichen Organisationen aufnehmen. Das Auswahlverfahren zur Aufnahme der Projekte in die Sandbox wird von einem unabhängigen Experten-Ausschuss beaufsichtigt. Wichtig ist, dass die Europäische Blockchain-Sandbox nicht auf FinTech "use cases" begrenzt ist. Es können daher auch Anwendungen aus anderen Disziplinen wie zB. Medizin oder Logistik erprobt werden.
Erste Bewerbungen für die Aufnahme in die Blockchain-Sandbox für dieses Jahr können bis zum 14. April 2023 bei der Kommission eingebracht werden.
Voraussetzung für die Bewerbung ist das Vorliegen einer Rechtspersönlichkeit mit Sitz im EWR. Dies bedeutet, dass dezentrale automatisierte Organisationen (DAOs), die nicht mit einer juristischen Person verbunden sind, nicht in die Sandbox aufgenommen werden können. Der Bewerbung ist ein Konzeptionsnachweis beizufügen, welcher grenzüberschreitend ausgestaltet sein soll. Das Projekt muss den Einsatz von DLT beinhalten und bereits marktnah sein bzw. sich im frühen Stadium der Betriebsbereitschaft befinden.
Darüber hinaus erhält der innovativste Sandbox Teilnehmer einen Preis. Die Auswahl und Aufnahme eines Projektes in die Sandbox hängt davon ab, in welchem Entwicklungsstadium sich das jeweilige Projekt befindet und welche Bedeutung den Rechtsfragen, welche sich aus dem Projekt ergeben, beigemessen wird.
3.2 Vorteile der Blockchain-Sandbox
Das Ziel der Europäischen Blockchain-Sandbox ist die Schaffung von Rechtssicherheit für alle Akteure und die Eröffnung eines erweiterten Dialoges zwischen Regulatoren und Unternehmen. Innovatoren werden in ihren Projekten durch die Bereitstellung der EBSI unterstützt und angeregt.
Zentraler Vorteil ist die schriftliche, rechtliche Bewertung des aufgenommenen Projektes durch die Regulatoren. Zudem werden zwei virtuelle Sitzungen mit den jeweiligen Regulierungsbehörden abgehalten, was zur rechtssicheren Entwicklung und Implementierung des Projektes beiträgt. Gerade für DLT-Pionier-Projekte, welche mehrere aufsichtsrechtlich regulierte Bereiche betreffen, bietet die Blockchain-Sandbox einen Rahmen, um ihre innovativen Lösungen zu erproben und darzulegen, welcher regulatorische Rechtsrahmen für die Ausübung notwendig ist. Darüber hinaus können durch die Teilnahme Netzwerk-Effekte in ganz Europa genutzt werden.
Als Rechtsanwaltskanzlei mit jahrelanger Erfahrung im Blockchain-Bereich beraten und begleiten wir Sie gerne bei Regulierungsfragen und der Bewerbung Ihres Projektes für die Europäische Blockchain-Sandbox.
Oliver Völkel | Maya Kindler