
1. Einleitung
Die Europäische Union möchte mithilfe von zwei neuen Richtlinien ("RL") das Gewährleistungsrecht an das digitale Zeitalter anpassen. Dies ist – genauso wie zB die DSGVO und die neuen strengen Online-Banking-Regeln – Teil der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa. Die Union erachtet vor allem bei digitalen Inhalten ein hohes Verbraucherschutzniveau als Grundvoraussetzung für die Erreichung des genannten Ziels. Durch eine (beinahe) Vollharmonisierung sollen regulatorische Hürden vor allem für kleine und mittlere Unternehmen ("KMU") abgebaut werden und es somit erleichtert werden, im Binnenmarkt Produkte und Dienstleistungen zu vertreiben. Zur Anwendung soll das neue Gewährleistungsrecht erst ab 1. Jänner 2022 kommen.
2. Warenkauf-Richtlinie ("WK-RL") – 2019/771/EU
2.1 Allgemeines und Anwendungsbereich
Die WK-RL wird die Verbrauchsgüter-RL (1999/44/EG) ablösen und ist auf Warenkaufverträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern anwendbar. Unter den Warenbegriff fallen nun auch ausdrücklich "Waren mit digitalen Elementen". Grundsätzlich umfasst der Begriff Ware nur bewegliche körperliche Gegenstände (zB ein Fahrrad). Der Unionsgesetzgeber hat erkannt, dass für Gegenstände, die mit digitalen Inhalten oder Dienstleistungen verbunden sind bzw diese enthalten (zB ein Smartphone mit installiertem Betriebssystem), das bisherige Gewährleistungsrecht nicht mehr zeitgemäß ist. Aus diesem Grund soll die Gewährleistung explizit auf diese digitalen Elemente erstreckt werden, jedoch nur, wenn sie mit einer Ware verbunden sind. Für digitale Inhalte und Dienstleistungen als solches (zB ein selbstständig erworbenes Computerprogramm) wurde eine eigene RL geschaffen, die mit der WK-RL als Einheit zu betrachten ist (dazu später mehr).
2.2 Vertragsmäßig geschuldete Leistung
Die WK-RL unterscheidet zwischen subjektiven und objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit. Die subjektiven Anforderungen betreffen die entsprechenden vertraglich vereinbarten Haupt- und Nebenleistungspflichten (zB Aktualisierungen, Zubehör und Anleitungen). Die objektiven Anforderungen umfassen jene Eigenschaften, die Waren der gleichen Art in der Regel aufweisen. Hierbei sind technische Normen oder, in Ermangelung dieser, anwendbare sektorspezifische Verhaltenskodizes heranzuziehen. Diese objektiven Anforderungen umfassen ebenfalls Zubehör und Anleitungen, die für gewöhnlich vom Lieferumfang umfasst sind (zB ein inkludiertes Ladekabel). In der RL werden explizit öffentliche Erklärungen (zB Werbeaussagen) zur Beurteilung des objektiven Maßstabs herangezogen. Bei "Waren mit digitalen Elementen" sind nicht nur die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften im Zeitpunkt der Erbringung ausschlaggebend, sondern auch die Erhaltung der Vertragsmäßigkeit in der Zukunft durch entsprechende Updates. Dies gilt zumindest für den Zeitraum, der unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vernünftigerweise erwartet werden kann. Laut Erwägungsgrund 31 der WK-RL sind zumindest bis zum Ende der Gewährleistungsfrist nötige Updates kostenlos zur Verfügung zu stellen. Dabei trifft den Verbraucher eine gewisse Mitwirkungspflicht. Nimmt er die Installation einer Aktualisierung nicht fristgerecht vor, haftet der Verkäufer für keine Vertragswidrigkeiten, die auf das nicht vorgenommene Update zurückzuführen sind.
2.3 Weitere entscheidende Neuerungen
Eine der auffallendsten Änderungen ist die Verlängerung der Beweislastumkehr zugunsten der Verbraucher von sechs Monaten auf ein Jahr. Die Gewährleistungsfrist bleibt unverändert bei zwei Jahren. Die Beweislastumkehr war einer der Punkte, bei dem eine Vollharmonisierung politisch nicht durchsetzbar war; daher können die Mitgliedstaaten diese auf bis zu zwei Jahre verlängern. Die Gewährleistungsbehelfe bleiben im Grunde unverändert und sind primär Verbesserung oder Austausch der Ware (bzw des digitalen Elements) bzw sekundär Preisminderung oder Vertragsauflösung.
3. Richtlinie über digitale Inhalte und Dienstleistungen ("DIDL-RL") – 2019/770/EU
3.1 Allgemeines und Anwendungsbereich
Ähnlich wie bei der WK-RL sollen durch Vereinheitlichung der Spielregeln Hemmnisse im digitalen Binnenmarkt abgebaut und somit Transaktionskosten für KMU gesenkt werden. Die DIDL-RL umfasst jene digitalen Inhalte und Dienstleistungen, die nicht mit einem Gerät verbunden oder enthalten sind; demnach separat erworben werden. Die Begriffsbestimmungen wurden vom Unionsgesetzgeber sehr weit gefasst, sodass sämtliche Computerprogramme und Apps erfasst sind. Lädt ein Nutzer zB auf seinem Smartphone die App des Musikstreamingdienstes Spotify herunter, würde diese von der DIDIL-RL erfasst sein. Um von den Gewährleistungsbehelfen zu profitieren, die sich aus der DIDL-RL ergeben, ist es nicht entscheidend, ob sich der User für die "Bezahl- oder Gratisversion" entschieden hat. Durch die Richtlinie wird anerkannt, dass im Internet tatsächlich fast nichts kostenlos ist und man zumindest durch Preisgabe seiner personenbezogenen Daten für einen Dienst bezahlen muss. Auch diese Form des Erwerbs durch einen Verbraucher ist vom Anwendungsbereich der WK-RL erfasst.
3.2 Wesentliche Neuerungen
Wie schon bei der WK-RL beschrieben, wird auch nach der DIDL-RL die Vertragsmäßigkeit nach subjektiven (Vertragsinhalt) und objektiven (vernünftigerweise zu erwartenden) Kriterien beurteilt. Ein Unterschied zur WK-RL ist, dass bei den primären Gewährleistungsbehelfen nicht zwischen Verbesserung oder Austausch unterschieden wird, da dies bei digitalen Inhalten nicht sehr sinnvoll wäre. Der Verbraucher hat Anspruch auf Bereitstellung eines vertragsmäßigen Zustandes, auf Preisminderung oder Wandlung. Primär besteht der Anspruch auf Verbesserung (zB durch ein Update), außer dies ist unmöglich oder dem Unternehmer nicht zumutbar. Die sekundären Gewährleistungsbehelfe können auch sofort begehrt werden, falls die Vertragswidrigkeit besonders schwerwiegend ist oder die Verbesserung für den Verbraucher erhebliche Unannehmlichkeiten verursachen würde. Die Möglichkeit der Preisminderung ist bei digitalen Inhalten bzw Dienstleistungen, die im Austausch gegen personenbezogene Daten erworben wurden, ausgeschlossen. Diese Verträge können dafür schon bei geringfügigen Vertragswidrigkeiten gewandelt werden.
Die Beweislastregeln sind im Grunde dieselben wie jene der WK-RL, jedoch ändert sich die Beweislastverteilung, wenn die "digitale Umgebung" des Verbrauchers (zB Smartphone) nicht den zuvor klar umschriebenen Spezifikationen des Unternehmers entspricht, oder der Verbraucher nicht im zumutbaren Rahmen mit dem Unternehmen kooperiert (zB zur Ergründung der Vertragswidrigkeit).
Max Königseder