In der digitalen Kunstszene sorgen NFTs – Non Fungible Tokens – für einen enormen Hype. Die dezentralen Zertifikate haben jedoch einen sehr praktikablen Nutzen in der Wirtschaft. Von Patenten über Container bis hin zu Grundstücken lassen sich Besitz- und Eigentumsverhältnisse via Blockchain-Technologie abbilden.

Wenn Sie aktuell versuchen, sich über NFTs zu informieren, werden Sie über viele Affenbilder mit fragwürdigem künstlerischen Wert stolpern. Die Bilder des "Bored Ape Yacht Club" werden von investitionsfreudigen Crypto-Fans gehandelt. Für das bislang teuerste Exemplar wurden 769 Ethereum (eine Cryptowährung) gezahlt, umgerechnet zwei Millionen Euro. Dabei ginge es auch günstiger, denn das Kunstwerk kann mit einem Rechtsklick und dem Feld "Speichern unter" problemlos kopiert werden – sehr zum Missfallen der Sammler. Trotz gespeicherter Kopie ist man allerdings nicht der eingetragene Eigentümer der Pixel-Kunst. Wem was gehört und wie viel dafür gezahlt wurde, lässt sich in der Blockchain ablesen. Diese enthält eine vollständige und öffentlich zugängliche Liste aller Transaktionen, sowohl von digitalem Geld als auch von Eigentumsverhältnissen. Und genau hier überlappen sich die Nutzungsgebiete zwischen der Supplychain und dem Crypto-Kunstmarkt.

Um die Non Fungible Tokens – übersetzt "Nicht ersetzbare Token" – zu verstehen, braucht es zunächst eine genaue Definition. Ein nicht-digitales Gegenstück wäre etwa ein Führerschein, da dieser einzigartig ist und einer bestimmten Person zuspricht, Kraftfahrzeuge einer bestimmten Klasse lenken zu dürfen. Oder eine Konzertkarte, die den Inhaber dazu berechtigt, an einem definierten Termin Zugang zu einem Veranstaltungsort zu erhalten und dort auf einem zugewiesenen Platz zu sitzen. Oder – damit wären wir bei der Wirtschaft – ein Container, der auf einem Schiff unterwegs ist. Wem der Container gehört, ist in den Frachtpapieren zusammengefasst, die in digitaler Form als NFT abbildbar sind. Der Vorteil in diesem konkreten Beispiel: In der Blockchain ist die verfügbare Anzahl an freien Containern in Echtzeit erfasst. Dadurch lassen sich Mehrfachbuchungen verhindern und die Nutzungsrechte präzise abbilden.

So funktioniert die Blockchain

In einer Blockchain sind alle Transaktionen des dezentralen Netzwerkes erfasst. Jeder Teilnehmer kann diese nachverfolgen, wodurch ein communityweiter Konsens zu den jeweils aktuellen Eigentumsverhältnissen entsteht. Wie zwei Puzzleteile müssen die Anfragen der Teilnehmer – etwa die Überweisung von Cryptowährung oder das Buchen von einem Container – mit der öffentlichen Liste kompatibel sein. Beglaubigt wird eine solche Anfrage durch eine dritte Partei, oft beim sogenannten „Mining“. Dabei wird die Anfrage durch eine Berechnung abgeglichen, die Drittpartei kann dafür eine Entlohnung (meist Cryptowährung) erhalten. Das Resultat, eine aktualisierte Liste mit Zeitstempel, wird der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht.

Lückenloser Frachtbrief

Das ist keine Zukunftsmusik, sondern die Blockchain Initiative Logistik hat in Österreich bereits den ersten Praxistest absolviert. Zusammen mit GS1/editel hat die Spedition Wildenhofer bereits im Mai 2021 den digitalen Frachtbrief (eCMR) getestet. Die Vorteile: eine schnellere Abwicklung der Übergabe zwischen den an der Supplychain beteiligten Firmen, Fälschungssicherheit und Übersichtlichkeit. Durch die Automatisierung der bürokratischen Prozesse lassen sich zudem die Transporte in Echtzeit nachverfolgen. Aktuell befindet sich das seit 2019 laufende eCMR-Projekt in der finalen Aufbauphase, in der es darum geht, eine branchenweite Plattform für die Nutzung aufzubauen. Einen häufigen Kritikpunkt an Blockchains, der enorme Energieaufwand, kann die Blockchain Initiative Logistik durch andere Berechnungsprozesse der Datensätze vermeiden. Für diesen innovativen Ansatz wurde das Projekt bereits mit dem Futurezone-Award ausgezeichnet.

Eine angewandte Nutzung von NFTs findet sich beim Ende 2021 gestarteten Projekt "cryptoWine", entwickelt von der Landwirtschaftskammer Niederösterreich mit Capacity Blockchain Solutions. Nutzer der Plattform können dort heimische Weine kaufen, die zentral in einem professionellen Weinkeller gelagert bleiben. Den Token erhalten die Käufer als "digitalen Zwilling", der in der dazugehörigen App im digitalen Weinkeller liegt. Bei dem nicht konsumierbaren Abbild bleibt es aber im Gegensatz zu anderen NFTs nicht: Auf Knopfdruck lassen sich die erworbenen Weine liefern oder verschenken – idealerweise zum optimalen Trinkzeitpunkt. Der Token des genossenen Weines darf als Erinnerungsstück in einem "Wallet" behalten werden – die leere Flasche kann somit guten Gewissens in den Glasabfall wandern.

Domains und Briefmarken

Doch die Technologie kann nicht nur mit Wein und Affenbildern arbeiten. Andreas Petersson, Gründer und Managing Director von Capacity Blockchain Solutions, fasst für CASH weitere mögliche Anwendungsgebiete zusammen: "Das Projekt mit dem meiner Meinung nach größten Einfluss auf die Weiterentwicklung des Internets sind ENS-Domains: Ein NFT-basiertes dezentrales Namensverwaltungssystem, welches die Verknüpfung von natürlichen Namen mit einer Vielzahl an Adressen wie Domains, Ethereum-Adressen oder Profile bei diversen Services ermöglicht." Bei der Supplychain sieht er besonders Vorteile für die letzte Meile: "So kann etwa die Zuordnung zu authentischen Markenartikeln geprüft werden, physische Gegenstände werden digital handelbar, und bei Anforderung der Waren kann auch die Echtheit leichter überprüft werden. Speziell der Aspekt der Ausgabemengen von Produktgruppen kann damit dokumentiert und nachvollzogen werden."

Reale Gegenstände lassen sich vergleichsweise einfach mit ihren digitalen Abbildern in Verbindung bringen. "Physische Objekte verbindet man idealerweise mit Hilfe von kryptographischen NFC-Chips", so Petersson. "Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist die Crypto Stamp 3.0 und 3.1 der Österreichischen Post. Dabei enthält das physische Objekt einen Chip mit geheimen Schlüssel und einem winzigen Speicherbaustein, welcher dafür sorgt das mit jedem NFC-Scan eine einzigartige Nachricht erzeugt wird. Diese kann einfach mittels Smartphone ohne weitere Werkzeuge oder Apps überprüft werden. Dabei wird der Chip mit einem NFT eindeutig verknüpft. Jedes physische Objekt, wie zum Beispiel Kunstwerke mit seltsamen Affen, welches sich mit einem Sticker verbinden lässt, kann man auf diese Weise aufwerten."

Hype am NFT-Markt

Ein Stück heimische Kunstgeschichte kann man sich mit NFTs holen: „Der Kuss“ von Gustav Klimt wurde zum Valentinstag jedoch in 10.000 Stücke geschnitten – digital versteht sich. Diese Teile konnten Sammler dann für jeweils 1.850 Euro erwerben. Wer den „eigenen Ausschnitt“ vom Kuss live und nicht nur als Foto sehen möchte, muss jedoch noch immer ins Belvedere. Für Beatles-Fans hat Sean Lennon, Sohn von John Lennon, ein paar Schmankerln in NFT-Form. Sammler können multimediale Abbildungen von Kleidung, Notizen und Equipment des Musikers erwerben. Wer zuschlägt, erhält nicht nur Bilder, sondern auch individuell eingesprochene Geschichten rund um die Objekte. Diese selbst – Sie ahnen es – behält der Verkäufer allerdings. Und noch ein Beispiel aus der Industrie: Toilettenpapier-Hersteller Charmin hat Künstler digitale Bilder mit den Zellstoff-Rollen im Mittelpunkt designen lassen. Die Einnahmen dadurch wurden an eine wohltätige Organisation gespendet.

Lösbare Probleme

So vielversprechend die NFT-Technologie auch ist – noch steckt die wirtschaftliche Anwendung in den Kinderschuhen. Das hängt mit der zugrundeliegenden Blockchain zusammen, oder besser gesagt: den Blockchains. Jede davon ist ein eigenes Register mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Prinzipiell lassen sich NFTs in den meisten davon abbilden, doch für die spezialisierten Anwendungsgebiete entlang der Supplychain eignen sich nur wenige. Zu den bekanntesten Blockchains gehören Bitcoin und Ethereum, die beide aufgrund der hohen Transaktionskosten und des enormen Stromverbrauchs unattraktiv für die wirtschaftlichen Usecases sind. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum österreichische Händler bislang nicht mit Blockchains arbeiten, wie CASH auf Nachfrage herausgefunden hat.

Aktuell kostet eine Ethereum-Transaktion (also etwa das Überschreiben eines NFT zu einem anderen Inhaber) rund zwei US-Dollar, im Mai des Vorjahres waren es über 70 Dollar. Auch der ökologische Fußabdruck ist ein starkes Gegenargument: Eine Transaktion in Ethereum verbraucht über 238 Kilowattstunden, bei Bitcoin sind es sogar 2.264. Zum Vergleich: 100.000 Visa-Transaktionen benötigen 148 kWh.

Dann wäre da noch der gesetzliche Aspekt, mit dem sich Arthur Stadler, Partner in der Rechtsanwalts-Kanzlei Stadler Völkel, entsprechend gut auskennt. "In Österreich bestehen keine blockchainspezifischen Regelungen oder gar ein eigenes Gesetz wie etwa in Liechtenstein. Dort trat bereits im Jahr 2020 mit dem ‚Token- und VT Dienstleister Gesetz (TVTG)‘ ein Gesetz in Kraft, welches blockchainbasierte Dienstleistungen zum Gegenstand hat. Hierzulande fehlt es zwar noch an solchen spezifischen rechtlichen Gegebenheiten, aber dies bedeutet nicht, dass neue Technologien – wie etwa die ­Distributed Ledger-Technologie, auf der Blockchains basieren – und somit NFTs keinerlei rechtlichen Anforderungen unterliegen. Vielmehr kommen die bereits bestehenden, allgemeinen Regelungen soweit wie möglich zur Anwendung", fasst der Anwalt zusammen.

Digitale Originaldokumente

Trotz dem Fehlen einer spezifischen Gesetzgebung sieht Stadler die Grundlagen für eine wirtschaftliche Nutzung jedoch gegeben. "Insbesondere wenn die NFTs zur Dokumentation von unternehmensinternen oder abgegrenzten unternehmensübergreifenden Prozessen genutzt werden sollen, ist dies rechtlich zweifelsfrei auch im bestehenden Rechtsregime umsetzbar. Hier stellen sich eher Fragen hinsichtlich der Ausgestaltung von vertraglichen Beziehungen", gibt er zu Bedenken. Außerdem sieht der Anwalt die meiste Rechtssicherheit bei der firmeninternen Nutzung von NFTs, da die Weitergabe an Drittparteien weitere Fragen aufwirft. Gerade dabei ergeben sich aber spannende Möglichkeiten – gerade, wenn es um Marken- und Markennutzungsrechte geht: "Besonders Smart Contracts, bei denen es sich vereinfacht gesagt um eine ‚Wenn-Dann-Funktion‘ handelt, können die Übertragung von Rechten ohne Einschaltung eines Intermediärs ermöglichen. Da es sich bei Smart Contracts aber grundsätzlich um keine Verträge im juristischen Sinne handelt, bedarf es einer vorherigen vertraglichen Ausgestaltung."

Die wichtigste Anwendung ist laut Stadler jedoch die Supplychain: "Hier spielt natürlich der Umstand eine Rolle, dass durch Nutzung von NFTs die Unverfälschtheit von Dokumenten belegt werden kann und in NFTs diverse Informationen zu Produkten wie Eigenschaften, Verantwortliche oder Produktionsort fälschungssicher gespeichert werden können. Im Arzneimittel- und Lebensmittelbereich etwa ist es nicht unerheblich, dass etwa Kühlketten eingehalten werden." Besonders bei der Notwendigkeit von Originaldokumenten wären NFTs hierbei praktisch. Der Fachmann erklärt: "Aus dem Inhalt des Dokuments kann ein Hashwert, eine Art digitaler Fingerabdruck, errechnet und auf der Blockchain gespeichert werden. Würde das Dokument in der Zwischenzeit bearbeitet werden, würde sich der Hashwert des Dokuments ändern und nicht mehr mit dem auf der Blockchain gespeicherten Wert übereinstimmen. Darüber hinaus könnte dies, natürlich abhängig von der Berechtigung, weltweit jederzeit überprüft werden."

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass das Potenzial von NFTs in der Wirtschaft groß ist – für alle, die an Rückverfolgbarkeit und lückenloser Dokumentation interessiert sind. So zukunftsweisend das auch ist, noch hat die Technologie nicht die dafür notwendige Massentauglichkeit erreicht. Erfolgreiche Anwendungen wie jene von GS1/editel zeigen jedoch, was damit möglich ist. Vielleicht legen die zögernden Handelskonzerne ihre Skepsis ab, wenn NFTs von Affen-Bildern auch in Kundenbindungsprogrammen Einzug halten.

Von Karl Stiefel

Montag, 28. Februar 2022